Im Frühjahr 1991 wurden in Ostdeutschland fünf neue Architektenkammern gegründet. Zwanzig Jahre später ziehen engagierte Mitglieder Bilanz – über Baukultur, Selbstverwaltung und das gewachsene Ansehen ihres Berufs
Von Roland Stimpel
„Mehr Profit, als manchem bewusst ist“
Schon im September 1990 gründete die Innenarchitektin Jutta Kehr ihr eigenes Büro und erfuhr kurze Zeit darauf vom Engagement einiger Kollegen, eine Kammer zu gründen. Sie war schnell mit dabei: „schon allein, damit wir Innenarchitekten von Anfang an den Fuß in der Tür hatten“. Kehr erinnert sich an eine Versammlung in einem Kinosaal mit Klappsitzen, wo es euphorisch zuging: „Als zum Start ein Sonderbeitrag diskutiert wurde, sprang jemand auf und schlug einen viel höheren Beitrag vor – weil es doch für einen guten Zweck sei.“ Tatsächlich wurde dann der höhere Beitrag beschlossen.
Die Kammer sollte den goldenen Mittelweg zwischen bürokratischer DDR-Enge und haltloser Anarchie bilden. „Uns war klar: Es muss Regularien geben – aber auch die Möglichkeit, sie selbst zu gestalten.“ Für Kehr und viele andere hatte die Kammerarbeit vor allem am Anfang auch die Funktion, Orientierung zu finden. Sie erinnert sich: „Ich habe in meiner alten DDR-Bescheidenheit meine Arbeit damals finanziell weniger wertgeschätzt, als es die Honorarordnung ermöglichte.“
Neben Bürostart, Kammergründung und Neuorientierung im Alltag rief Kehr auch noch den Landesverband des Bundes Deutscher Innenarchitekten (BDIA) ins Leben; heute ist sie Bundes-Vizepräsidentin. Seit der Kammergründung war sie 18 Jahre lang im Thüringer Vorstand, bis sie 2008 den Stab an Jüngere weitergab. Heute bilanziert sie: „Die Kammer ist ein wichtiges Organ, das unsere Interessen vertritt. Das geschieht oft im Hintergrund – manch politisch heikles Thema wird geklärt, ehe es überhaupt öffentlich wird. Wir Mitglieder profitieren davon viel mehr, als dem Einzelnen oft bewusst ist. Die Kammer ist auch das Fundament dafür, dass meine persönlichen Wünsche von 1990 realisierbar geworden sind: sellbstständig sein und gute Innenarchitektur machen.“